Historischer Atlas des Elsass, die Geschichte des Elsass in Karten
Eigenschaften
Autor und Institut | Jean-Michel Boehler | |
Historische Zeiträume | Frühe Neuzeit | |
Themen | Landschaften - Besiedlung | |
Cartographe | Jean-Philippe Droux, ARCHMIEDE, CNRS | |
Skala | Alsace | |
Entstehungsdatum | 1994 | |
Datum der letzten Änderung | 2009 | |
Quelle | Carte originale | |
Diese Karte zitieren | Jean-Michel Boehler, « Die ländliche Bevölkerung des Elsass im 18. Jahrhundert », in Atlas historique d'Alsace, www.atlas.historique.alsace.uha.fr, Université de Haute Alsace, 2009 |
Erläuterungen zur Karte
Betrachtet man die Bevölkerungsentwicklung aus der Perspektive von sich ausgleichenden Bewegungen über mehrere Jahrhunderte hinweg, dann ist festzustellen, dass die Störungen des 17. Jahrhunderts weder dauerhafte demographische Konsequenzen, noch unumkehrbare Folgen gehabt haben. Um 1750 war vielmehr der Verlust des vorangegangenen Jahrhunderts wieder ausgeglichen und das Niveau des 16. Jahrhunderts erneut erreicht worden. Zwischen 1650 und 1789 wuchs die elsässische Bevölkerung um 200% bis 300%. In dieser Hinsicht glich die Provinz also eher dem Rheinland oder Mitteleuropa, weniger jedoch Frankreich, wo die in jenen Jahren von Bevölkerungstheoretikern verbreiteten alarmistischen Thesen von einem schwachen Bevölkerungswachstum (weniger als 50% in der gleichen Periode) befeuert wurden. Eines lässt sich dabei allerdings nicht übersehen: Einerseits verdoppelte sich im 18. Jahrhundert die Bevölkerung des Elsass in hohem Tempo; andererseits aber setzte diese Entwicklung auf einem Niveau ein, das aufgrund der desaströsen Lage in der vorangegangenen Periode ausgesprochen niedrig lag. Berücksichtig man diesen besonderen Kontext, dann lässt sich angesichts der erreichten Höchststände also nur bedingt davon sprechen, dass das Bevölkerungswachstum hier der Entwicklung in anderen Regionen Frankreichs überlegen war. Dennoch bleibt festzuhalten, dass in der Folge von effizienten Kompensationsmechanismen (Wiederanstieg der Heiratshäufigkeit und der Geburten, die ein nur relatives Absinken der Mortalität ausglichen) das Elsass mit einer Dichte von 500 (um 1700) bzw. 1100 (um 1800) Einwohnern pro Quadratmeile zu den bevölkerungsreichsten Gegenden Europas zählte. Der Preis dieser Entwicklung war eine Übervölkerung, die mehr und mehr Menschen zur Auswanderung zwang, während die Provinz bis zu diesem Zeitpunkt Aufnahmeland für Migranten gewesen war.
Für diese demographische Explosion verantwortlich waren die ländlichen Gebiete; die Städte zeigten in der gleichen Zeitspanne hingegen einen deutlich geringeren Bevölkerungsanstieg. Die Karte macht darüber hinaus deutlich, dass der stärkste Anstieg an den östlichen und westlichen Rändern der Provinz zu verzeichnen war. Im Kontrast dazu stand ein verhältnismäßig schwacher Anstieg in den Gegenden, die im Zentrum der Elsässischen Ebene lagen. Dort, wo Ackerland dominierte (im Kochersberg, auf der Ebene von Erstein, in einem Teil des Sundgaus), stieg die Bevölkerung nur um 100% bis 150% an; ihre Verdopplung stellte hier vor allem aus sozio-ökonomischen Gründen eine nur schwer erreichbare Zielmarke dar. In diesen von als fruchtbar geltenden Flächen geprägten Gebieten dominierten verhältnismäßig große landwirtschaftliche Betriebe, die noch dazu in der Nähe von städtischen Märktenlagen, was den zur Ansiedlung verfügbaren Platz beschränkte. Anders sah die Situation im Outre-Forêt (Hinterm Wald) aus. Von einem Geflecht aus mittleren und kleinen Betrieben geprägt, machte diese Gegend seit den 1730er-Jahren Bekanntschaft mit der Übervölkerung. Vor dem Aufschwung der metallurgischen Industrie konnten die Zeitgenossen nicht auf eine Entspannung rechnen, wie sie anderswo Beschäftigungsmöglichkeiten in einer ausreichenden Zahl von Gütern von einer bestimmten Größe boten. Das elsässische Weinbaugebiet schließlich war seit Langem dicht bevölkert. Die hohe Bevölkerungsdichte lässt sich mit der dortigen Mischung aus sehr kleinen Betrieben und traditionellen Technologien sowie dem Rückgriff auf die althergebrachte Mischkultur erklären, was im Ergebnis zu einer Sättigung der Aufnahmefähigkeit des Raums bis an die Grenzen der Wachstumsmöglichkeiten führte.
Nicht nur zu einer Verdopplung, sondern zu einer Verdreifachung der Bevölkerung kam es hingegen an den bergigen und bewaldeten Rändern der Region, also in den Vorgebirgen der Vogesen sowie in den „Harts“ und Rieds“, wo Wachstumsraten von 200% bis 300% zu verzeichnen waren. Zu Beginn des Jahrhunderts waren diese Zonen nur schwach besiedelt, gewannen durch Rodungs- und Entwässerungsarbeiten aber kontinuierlich an Wert. Dass sie niemals als überfüllt erschienen, lag vor allem daran, dass hier nicht nur weite Flächen zur Verfügung standen, sondern auch vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten, wie sie Äcker, aber auch Wälder und Flüsse boten. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts verlangsamte sich das Bevölkerungswachstum hier nicht.
Keinesfalls sicher ist jedoch, dass der aus der demographischen Entwicklung resultierende Druck in Gebieten mit einem starken Bevölkerungswachstum auch deutlicher spürbar war. Der Widerspruch ergibt sich aus dem Umstand, dass es gerade die ärmsten unter ihnen waren, die sich – obwohl bereits mit Menschen überfüllt – weiter bevölkerten. In den wohlhabenderen Gegenden hingegen zeigten sich tendenziell eine Verlangsamung im Rhythmus der Besiedlung und eine Kontrolle des Bevölkerungswachstums. Die Fruchtbarkeit der Böden und die quantitative Steigerung der Produktion ermöglichten dabei genauso wie die Vielfalt der Tätigkeiten und die qualitative Diversifikation der Ernten eine Anpassung der Bevölkerung an den vorhandenen Nahrungsspielraum und machten die „agrarische Revolution“ vor allem in den benachteiligten und mit Menschen überfüllten Gegenden unumgänglich.
Zählungen im 18. Jahrhundert:
Übersetzung: Falk Bretschneider
Dokument zum Herunterladen