Historischer Atlas des Elsass, die Geschichte des Elsass in Karten
Eigenschaften
Autor und Institut | Yves Frey, Marie-Claire Vitoux, CRESAT (UHA) | |
Historische Zeiträume | Neuzeit | |
Themen | Besiedlung - Demographie und Gesellschaft | |
Cartographe | Jean-Philippe Droux, ARCHMIEDE, CNRS | |
Skala | Alsace | |
Entstehungsdatum | 2007 | |
Datum der letzten Änderung | 2008 | |
Quelle | Carte originale | |
Diese Karte zitieren | Yves Frey, « Die ausländische Bevölkerung im Elsass », in Atlas historique d'Alsace, www.atlas.historique.alsace.uha.fr, Université de Haute Alsace, 2008 |
Erläuterungen zur Karte
Die Volkszählung von 1851 ist die erste in Frankreich, bei der versucht wird, auch die ausländische Bevölkerung systematisch zu erfassen. Darüber hinaus ist sie die einzige Volkszählung vor der Besetzung 1871, die nach den einzelnen Kantonen unterscheidet.
Sicherlich, diese Karte ausländischer Präsenz im Elsass in der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigt nur wenig: Es ist unmöglich, die Aufschlüsselung nach Nationalitäten zu erfassen, das Verhältnis Männer-Frauen oder gar die Aufteilung nach Berufen.
Die Quellen (für den Bas-Rhin aufbewahrt in den Archiven des Departement unter der Signatur VII 214-215, für den Haut-Rhin Statistiques de la France, mouvements de la population pendant les années 1858,1859 et 1869 aufbewahrt in der Universitätsbibliothek der Société industrielle de Mulhouse (BUSIM), Signatur 1924) geben die Zahlen nach den einzelnen Arrondissements an. Der Haut-Rhin umfasst drei Arrondissements, der Bas-Rhin vier. Das Arrondissement Belfort wurde nach 1871 stark verändert, als das zukünftige „Territorium Belfort“ (Territoire de Belfort, 1924 offiziell anerkannt) durch den Vertrag von Frankfurt abgespalten wurde und somit bei Frankreich verblieb. Außerdem umfasste der Kanton Altkirch, der immer zum Haut-Rhin gehörte, die industrielle und bevölkerungsstarke Stadt Mülhausen, wo die Unterpräfektur erst 1857 eingerichtet wurde.
Auch wenn die erste systematische Erfassung der ausländischen Bevölkerung aus dem Jahr 1851 stammt, zeigt doch die Kartographie, dass das Phänomen der Migration schon viel früher einsetzte. So kann das enorme Bevölkerungswachstum im Elsass ab 1801 erklärt werden: Die Einwohnerzahl des Elsass wächst innerhalb eines halben Jahrhunderts von 754 011 auf 1 081 581 Menschen an. Somit nahm die Bevölkerung im Department Bas-Rhin um 30,47%, im Haut-Rhin um 62,66% zu.
Das Zusammenspiel von zwei Migrationsphänomenen kann diesen demographischen Anstieg erklären. Als Grenzzone und beeinflusst von deutscher Kultur nahm das Elsass politische Flüchtlinge auf, die sich in den 1820er und 1830er Jahren und 1849-1850 an nationalen Bewegungen beteiligt hatten, welche sich in den verschiedenen Staaten des Deutschen Bundes erhoben. Zahlenmäßig bedeutsamer war jedoch die Arbeitsmigration, die eine Flut von schweizerischen und deutschen Arbeitskräften ins Elsass strömen ließ, wo sie eine Anstellung in den Manufakturen suchten, insbesondere in Mülhausen und Umgebung. Die Migration von Arbeitskräften erklärt die unterschiedliche Geschwindigkeit des Bevölkerungswachstums in den beiden Departements.
Es fällt auf, dass nur wenig Ausländer in die Täler der Vogesen vorstießen, sie konzentrierten sich vielmehr auf die Amtsstädte Colmar und Straßburg sowie die Industriestadt Mülhausen im Kanton Altkirch.
Im Norden ist die Region Weißenburg/Wissembourg geprägt durch eine seit jeher wichtige und weit zurückreichende deutsche Präsenz (Deutsche stellen dort 87% der Ausländer), ebenso wie es im Sundgau einen großen Anteil an Schweizern gibt: Die Grenzen bleiben durchlässig und die Migrationsströme sind ein altes Phänomen.
Insgesamt verstärkte die Migration in den 15 Jahren nach der Volkszählung von 1851 die Unterschiede zwischen den beiden elsässischen Departements: Auch wenn der Bas-Rhin stärker besiedelt war als der Haut-Rhin, so war doch die Präsenz von Ausländern in letzterem viel bedeutender. Und der Abstand wuchs: 1851 gab es 11 716 Ausländer im Bas-Rhin und 12 462 im Haut-Rhin, 1866 waren es jeweils 15 402 und 21 063.
Die Karten wurden anhand der Daten aus Volkszählungen erstellt. Daran soll gezeigt werden, wie sich die ausländische Bevölkerung auf die verschiedenen Arrondissements verteilte. Aussagen hierüber sind dank der verfügbaren Daten relativ genau möglich. Die verwendeten Legenden sind auf allen Karten identisch. So ist es möglich, die Verteilung auf Basis sehr unterschiedlicher Daten zu vergleichen und deren Entwicklung zu beobachten und zu messen.
1921gehört das Elsass bereits seit zwei Jahren wieder zu Frankreich, jedoch haben die Jahre der Besetzung die Zusammensetzung der elsässischen Bevölkerung stark geprägt.
Das Arrondissement Straßburg-Ville weist den größten Anteil an Ausländern auf, gefolgt von Mülhausen. Die Gründe für diese jeweils sehr hohen Anteile sind jedoch sehr verschieden. Strasbourg-Ville war die alte Landeshauptstadt des Reichslands. Dort waren Deutsche stets in der Mehrheit, auch nach der Wiederangliederung an Frankreich, da sie sehr häufig in Ehen mit ElsässerInnen lebten und deshalb nicht ausgewiesen werden konnten. Im Gegensatz dazu lebten in Mülhausen vorwiegend Schweizer, aber auch Italiener. Die Schweizer arbeiteten überwiegend im landwirtschaftlichen und im häuslichen Sektor, italienische Arbeitskräfte häufig in der Industrie. Die Präsenz der Schweizer lässt sich sicherlich dadurch erklären, dass beide Länder eine gemeinsame Grenze teilen. Aber wie sieht es mit den Italienern aus? Lässt sich hier der Fortbestand eines Migrationsstroms konstatieren, der bereits im Mittelalter mit der Öffnung des St. Gotthard Passes einsetzte?
In den anderen Arrondissements, besonders jenen im zentralen Elsass, lebten dagegen nur sehr wenige Ausländer. In Straßburg-Campagne (analog zu dern Entwicklungen in Straßburg-Ville), Weißenburg/Wissembourg mit seinen traditionellen Ansiedelungen und Colmar, welches nach Straßburg zweitwichtigste Verwaltungsstadt des Reichslandes war, blieben deutsche Bewohner sehr zahlreich. Die industriellen Arrondissements im Süden des Landes (Thann und Gebweiler/Guebwiller, die dem Arrondissement Mülhausen angeschlossen wurden) begannen wie bereits im 19. Jahrhundert damit, eine ausländische Arbeiterschaft anzuwerben. Da jedoch Deutsche und Österreicher aus Tirol seit dem Ersten Weltkrieg unwillkommen waren, bestand diese neue Arbeiterschaft vorwiegend aus Italienern.
Trotz einiger unerwarteter Fortzüge in der zweiten Hälfte des Jahres 1930 erfasst die Volkszählung von 1931 die Verteilung der ausländischen Bevölkerung sehr genau. Gleichzeitig hält sie diesen Bevölkerungsteil zum Zeitpunkt seiner höchsten Ausprägung zwischen den Weltkriegen fest. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Situation weiterentwickelt, ohne sich jedoch wirklich radikal zu verändern. Die erste Veränderung ist rein quantitativ: Gab es im Jahr 1921 noch sechs Arrondissements mit einem Ausländeranteil von weniger als 2,2%, sind es 1931 nur noch vier. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Arrondissements Molsheim und Rappoltsweiler/Ribeauvillé wieder mit denen von Colmar, Straßburg-Campagne und Weißenburg/Wissembourg zusammengefügt wurden. Hier kam es zu einer Arbeitsmigration, die die deutschen Einwohner nicht betraf. Die ausländischen Arbeitskräfte sammelten sich im Wesentlichen in Molsheim, Standort von Bugatti, und in Markirch/Sainte-Marie-aux-Mines, einer Hochburg der Textilindustrie. Die wichtigste Veränderung war jedoch qualitativer Natur: Die Immigranten stellen nun im Elsass einen beträchtlichen Teil der industriellen Arbeitskräfte.
In den kommenden Jahren unterschied sich der südliche Teil des Haut-Rhin in seiner Entwicklung von den anderen Gegenden. Daneben dünnte sich die deutsche Bevölkerung in Straßburg-Ville merklich aus, vor allem weil sie sich schlicht naturalisierte beziehungsweise weil die dort ansässigen Deutschen allmählich verstarben. Sowohl Textil-, Maschinen- als auch Chemieindustrie als auch das „Bassin Potassique“ (eine Gegend mit großen Vorkommen an Kalisalzen) lockten vor allem italienische, polnische (diese besonders im Abbau von Kalisalz) und tschechoslowakische Arbeiter an. Die Schweizer kehrten vor allem in den Süden des Departements Haut-Rhin zurück, vorwiegend in die Arrondissements Altkirch und Mülhausen, wo sie in der Landwirtschaft (wie die Senner aus dem Sundgau) und im häuslichen Bereich arbeiteten
Die Karte des Jahres 1936 wirkt ausgedünnt. Überall im Elsass ist die Abnahme der ausländischen Bevölkerung empfindlich spürbar.Schuld daran ist die Wirtschaftskrise. Vor allem in den industriellen Bezirken des Südens hat ein großer Teil der ausländischen Bevölkerung seine Arbeit aufgeben müssen – teils freiwillig, teils gezwungen. In Molsheim sind die ausländischen Arbeitnehmer aufgrund der enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Bugatti praktisch verschwunden. Ebenso empfindlich ist die Entwicklung im Arrondissement Gebweiler/Guebwiller, auf dessen Gebiet sich die Kali-Mine Sainte-Thérèse befindet. Dort wurde die ausländische Arbeiterschaft in Massen entlassen und in großer Zahl zu den Mines Domaniales (MDPA) geschickt, die in den Arrondissements Mülhausen und Thann niedergelassen waren.
Auch im Departement Bas-Rhin nahm die Zahl der Ausländer immer weiter ab, wobei ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung sehr niedrig war. Aus den bereits genannten Gründen verringerte sich die Zahl der deutschen Einwohner im Arrondissement Straßburg-Ville stetig.
Die ausländische Immigration ins Elsass in der Zwischenkriegszeit weist vier wesentliche Charakteristika auf:
Da ist zunächst ein quantitativer Zuwachs in den zwanziger Jahren (hauptsächlich von 1924-1929), gefolgt von einer Verlangsamung der Zunahme und schließlich einem Abschwung in den Dreißigern. Dieser Rückgang der ausländischen Bevölkerung wurde vor allem durch die Wirtschaftskrise und den drohenden Krieg hervorgerufen, welcher den teils freiwilligen, teils jedoch auch erzwungenen (besonders Deutsche und Italiener sind von Verhaftungen und Internierungen betroffen) Fortgang ausländischer Arbeitskräfte zur Folge hatte.
Die Zahl der Deutschen im Elsass nahm kontinuierlich ab, auch wenn diese in den zwanziger Jahren noch sehr zahlreich vertreten waren, vor allem in Straßburg, der alten Landeshauptstadt des Reichslands, und im Arrondissement Weißenburg/Wissembourg. Ohne Neuankömmlinge führen Naturalisierung und Tod dazu, dass der deutsche Teil der elsässischen Bevölkerung Stück für Stück verschwindet.
Desweiteren sind jedoch auch neue Einwanderer zu verzeichnen, vor allem aus Italien und Polen, welche überwiegend in den Fabriken und im Bassin Potassique im Departement Haut-Rhin arbeiten. Die Arrondissements Mülhausen, Thann und Gebweiler/Guebwiller stechen hier besonders hervor. Im Süden des Elsass ist die ausländische Präsenz bis Ende des 20. Jahrhunderts ein wichtiges Merkmal der elsässischen Demographie geblieben.
Die Arrondissements Zabern/Saverne und jene im zentralen Elsass sind hiervon nur wenig betroffen. Dies waren noch sehr ländliche Gebiete, gesprenkelt mit kleinen Dörfern, die keine wichtigen administrativen Funktionen hatten. Daher konnten sich die Deutschen dort während der Zeit des Reichslands nur schwerlich niederlassen. Da sie keine nennenswerte Industrie besaßen, waren diese Gebiete von den neuen Einwanderungswellen nur wenig betroffen (mit Ausnahme von Molsheim). Lediglich das Arrondissement Hagenau weist hier eine Besonderheit auf. In seinem Hauptort, eine Stadt mittlerer Größe, wohnten durchaus Deutsche und die Stadt konnte sogar einige immigrierte Arbeiter aufweisen. Allerdings wird diese Statistik durch den bewaldeten und eher ländlichen Westen des Arrondissements gesenkt.
Die Karten wurden anhand der Daten aus Volkszählungen erstellt. Daran soll gezeigt werden, wie sich die ausländische Bevölkerung auf die verschiedenen Arrondissements verteilte. Aussagen hierüber sind dank der verfügbaren Daten relativ genau möglich. Die verwendeten Legenden sind auf allen Karten identisch. So ist es möglich, die Verteilung zu verschiedenen Zeiten zu vergleichen und deren Entwicklung beobachten und messen zu können.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die ausländische Bevölkerung im Elsass sehr stark geschrumpft. Das Elsass war nun keine Einwanderungsregion mehr. In den fünfziger Jahren gab es jedoch einen wirtschaftlichen Aufschwung: Sowohl in der Industrie als auch im Baugewerbe und bei öffentlichen Bauvorhaben (wie beispielsweise dem Rheinkanal) fehlten die Arbeitskräfte. Daher besteht die ausländische Bevölkerung im Jahr 1962 vor allem aus Fabrik- und Hilfsarbeitern, die überwiegend aus Italien, Polen und Spanien stammen. Darunter sind aber auch nordafrikanische Einwanderer, insbesondere Algerier, die offiziell als „französische Muslime“ bezeichnet werden.
Die ausländische Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf die drei industriellen Arrondissements (Mülhausen, Thann, Gebweiler) des Departement Haut-Rhin, und ein wenig darüber hinaus auch auf Colmar. Im Departement Bas-Rhin gibt es, mit Ausnahme von Straßburg-Ville, nur wenige Ausländer. Dabei ist Straßburg-Ville ein sehr interessanter Fall. Hier leben nicht mehr ausschließlich Deutsche, sondern Menschen verschiedenster Herkunft. Dieser Aufschwung in der ausländischen Bevölkerung wurde durch die Gründung des Europarates am 5. Mai 1949 in London ausgelöst, zu dessen Mitgliedern zunächst Frankreich, das Vereinte Königreich, die Benelux-Staaten, Irland, Dänemark, Italien, Norwegen, Schweden, jedoch schnell auch die Türkei und Griechenland (Ende 1949) und die Bundesrepublik Deutschland (1950) zählten. Diese Entwicklung wurde mit den Verträgen von Rom von Frankreich, Italien, der Bundesrepublik Deutschland und den Benelux-Staaten am 25. März 1957 vollendet.
Seit 1962 ist der Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung im Elsass stetig gestiegen, wie die Karten von 1975 und 1999 belegen. Von 1975 an kann man wieder vom Elsass als einer Einwanderungsregion sprechen. Auffällig dabei ist der sich entwickelnde Ausgleich zwischen den beiden Departements. Während im Bas-Rhin die ausländische Bevölkerung stetig anwächst, sinkt sie im Departement Haut-Rhin kontinuierlich. Diese Entwicklung drückt sich in zwei Veränderungen aus: zum einen der weitaus vielfältigeren geographischen Herkunft, vor allem im Bas-Rhin, zum anderen der Art der Einwanderung, vor allem durch Familienzusammenführungen und politische Flüchtlinge. Straßburg ist heute ein starker Anziehungspunkt für türkische und osteuropäische Einwanderer. Das Departement Haut-Rhin hingegen lockt vor allem Einwanderer aus dem Maghreb.
Ein letztes Charakteristikum ist die Rückkehr von Deutschen und Schweizern, die sich vor allem in den Grenzregionen niederlassen und von den günstigen Grundstückspreisen angezogen werden. Deutsche stellen heute nach den Türken die zweitgrößte Einwanderer-Gruppe im Elsass.
Übersetzung: Stefanie Feierabend
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