Historischer Atlas des Elsass, die Geschichte des Elsass in Karten
Eigenschaften
Autor und Institut | Christian Baechler | |
Historische Zeiträume | Neuzeit | |
Themen | Wahlen und politische Parteien | |
Cartographe | C. Wisniewski, J. P. Droux, AHA | |
Skala | Alsace | |
Entstehungsdatum | 2010 | |
Datum der letzten Änderung | 2010 | |
Quelle | Platzer, Die Reichstagswahlen von 1912 | |
Diese Karte zitieren | Christian Baechler, « Die katholische Partei des Elsass zur Zeit des Deutschen Reichs (1898-1912) », in Atlas historique d'Alsace, www.atlas.historique.alsace.uha.fr, Université de Haute Alsace, 2010 |
Erläuterungen zur Karte
Aufgrund der spezifischen rechtlichen Bedingungen erfolgte die Gründung einer katholischen Partei im Elsass erst spät. Im Vorfeld der Wahlen im Jahr 1898 organisierten sich die katholischen Elsässer zum ersten Mal und stellten sich als „Elsass-Lothringische Landespartei“ zur Wahl. Anders als es der Name vermuten ließe, war der Zusammenschluss jedoch keine Partei im eigentlichen Sinne. Diesen Status erhielt die Elsass-Lothringische Landespartei erst im Februar 1903, nachdem 1902 der Diktaturparagraph aufgehoben worden war. Im März 1903 wurde die Partei in „Elsass-Lothringische Centrumspartei“ umbenannt und entwickelte sich zur wähler- und mitgliederstärksten Partei des Elsass. Kurz vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges war die Zentrumspartei hervorragend organisiert und setzte immer wieder gekonnt ihre Themen in der Presse. Des Weiteren vergrößerte sich die Stammwählerschaft der Partei im Zuge der stetig wachsenden christlichen Gewerkschaften.
Im Jahr 1898 stellte die katholische Partei des Elsass in jedem Wahlkreis des Haute-Alsace einen Kandidaten auf und vereinte 36,3% der Stimmen auf sich. Im Jahr 1903 waren es 38,1%, im Jahr 1907 bereits 42,5%. Bei den Wahlen 1912 verzeichnete die Partei jedoch einen Rückgang des Stimmenanteils. Dieser war zurückzuführen auf die immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die im Elsass ansässige Textilindustrie sowie den Weinbau. Auch war die Bevölkerung im Elsass ab 1910 von stark steigenden Lebenshaltungskosten betroffen. In diesem wirtschaftlich schwierigen Kontext wurde die sozialdemokratische Partei zur attraktiven Alternative für die Wähler.
Im Unterelsass war die katholische Partei nicht in allen Wahlkreisen präsent. So konnte etwa im Kreis Saverne/Zabern kein Kandidat aufgestellt werden. Bei der Wahl im Jahr 1898 musste die Partei zudem in Straßburg auf die Wahl verzichten, im Jahr 1912 im Kreis Straßburg-Land/Strasbourg-campagne. Diese Umstände führten dazu, dass die Entwicklung des Wähleranteils der katholischen Partei im Unterelsass nur ungenau nachgezeichnet werden kann. Der Stimmenanteil der katholischen Partei im Unterelsass betrug im Jahr 1898 26,6%, im Jahr 1903 30,2%, im Jahr 1907 33,6% und 26,4% im Jahr 1912. Betrachtet man nur die drei Wahlkreise, in denen die Partei an allen vier Wahlen Kandidaten aufgestellt hat (Haguenau-Wissembourg/Hagenau/Weißenburg, Molsheim-Erstein, Sélestat/Schlettstadt), kann ein stetig wachsender Wähleranteil beobachtet werden. In den vier Wahlen zwischen 1898 und 1912 klettert der Stimmenanteil von 42,8% auf 43,3%, weiter auf 43,9% und schließlich auf 47,8%.
Die kartographische Darstellung macht die räumliche Aufteilung der Wählerschaft der katholischen Partei sichtbar. Es wird deutlich, dass der Stimmenanteil der Partei im Jahr 1898 in den 37 der insgesamt 52 Wahlkreise, in denen sie einen Kandidaten aufstellt, über 35% betrug. Die meisten Stimmen erhielt die Partei im Oberelsass sowie in südlichen Wahlkreisen des Unterelsass. Starken Rückhalt hatte die Partei insbesondere in den landwirtschaftlich geprägten Wahlkreisen entlang einer Nord-Süd-Achse: das östliche Sundgau, Hardt, Ried, Ackerland, Forêt de Haguenau/Hagenauer Forst und in den Weinanbaugebieten zwischen Guebwiller/Gebweiler und Obernai/Oberehnheim. Auch in den Tälern bei Masevaux/Masmünster, Saint-Amarin/Sankt-Amarin und Lapoutroie/Schnierlach sowie dem Val de Villé/Weilertal und dem Vallée de la Bruche/Breusch-Tal stimmten 1898 viele Bürger für die katholische Partei.
Viel weniger Wählerstimmen erreichte die Partei jedoch in den großen Städten, den landwirtschaftlich geprägten Gebieten im östlichen Sundgau und dem Outre-Forêt/Unterland sowie in den industriell geprägten Tälern bei Munster/Münster, Sainte-Marie-aux-Mines/Markirch und Saales, wo ihr Wähleranteil weniger als 25% betrug. Die Karte, welche die Wahlergebnisse aus dem Jahr 1912 abbildet, unterscheidet sich nicht fundamental von der Wahlkarte aus dem Jahr 1898, deutet jedoch ein paar wichtige Veränderungen an. So ist bei einem Blick auf die Karte festzustellen, dass der Wähleranteil der Zentrumspartei insgesamt rückläufig ist. Es kann damit festgehalten werden, dass sich der Anstieg der Wahlbeteiligung um 13,4% auf 85,2% im Vergleich zur Wahl im Jahr 1898 nicht nur zugunsten der Zentrumspartei ausgewirkt hat. Einerseits war der Wähleranteil in dem Stammgebieten rückläufig, andererseits konnte die Partei einen Zuwachs in neuen Gebieten vorweisen: Die oben erwähnte Nord-Süd-Achse verlängerte sich in Richtung nördliches Ried und Outre-Forêt/Unterland sowie im Süden ins Sundgau hinein. In den Tälern der Vogesen gab es zwei verschiedene Tendenzen zu beobachten: Im Vallée de la Bruche/Breuschtal nahm der Wähleranteil ab, bei Lapoutroie/Schnierlach und Saales nahm er jedoch zu. Die Städte und die industriell geprägten Täler bei Munster/Münster und Sainte-Marie-aux-Mines/Markirch blieben Gebiete mit geringem Wähleranteil, neu gehörten auch das Vallée de Schirmeck/Schirmecktal zu den Regionen mit geringem Erfolg.
Zusammenfassend für die Entwicklung zwischen den beiden Wahlen 1898 und 1912 kann festgehalten werden, dass sich die Gebiete vergrößert haben, in denen die katholische Zentrumspartei stark vertreten war. Auch ist zu beobachten, dass die Zentrumspartei ihre höchsten Wähleranteile zunehmend in den landwirtschaftlich geprägten Gebieten erzielte.
Die Wahlergebnisse von 1912 weisen eine deutliche Korrelation auf zwischen den Wählern der Zentrumspartei und den Personen, die in der Landwirtschaft beschäftigt und katholischer Konfession waren. Auch kann ein Zusammenhang hergestellt werden zwischen industriell geprägten Kantonen und einem geringen Erfolg der Zentrumspartei. Die Zensus-Zahlen aus dem Jahr 1907 zeigen, dass die Bevölkerung in sieben Kantonen zu mindestens 60% im zweiten Sektor, d.h. in der Industrie beschäftigt war. Bei den Wahlen 1912 wiesen sechs von diesen sieben industriell geprägte Kantone einen Stimmenanteil von weniger als 40% für die Zentrumspartei auf. Den tiefsten Wähleranteil verzeichnete die Partei in Sainte-Marie-aux-Mines/Markirch. Eine Ausnahme bildete der Kanton Saint-Amarin/Sankt Amarin, der als einziger industriell geprägter Kanton in der Zeit von 1898 bis 1912 einen Stimmenanteil für die Zentrumspartei zwischen 49,4% und 56,5% aufwies. Diese Besonderheit lässt sich erklären durch eine in der Bevölkerung tief verwurzelte religiöse Praxis, auf die etwa die Karte der „adultes pascalisant“ aus dem Jahr 1947 hinweist. (Diese Karte dokumentiert die Katholiken, die mindesten einmal im Jahr, d.h. an Ostern, die Kirche besuchten.) In den großen Städten wie Straßburg und Mülhausen war der Wähleranteil der Zentrumspartei noch geringer. Als Erklärung hierfür können sowohl konfessionelle Faktoren – die Mehrzahl der Bevölkerung der beiden Städte war protestantisch – als auch sozio-professionelle Faktoren genannt werden. Auch gehörte die Bevölkerung in den großen Städten nur in geringem Maße zur Gruppe der praktizierenden Christen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die katholische Partei ihre besten Wahlergebnisse in den ländlich und katholisch geprägten Regionen des Elsass erzielte. Der Umkehrschluss wäre jedoch falsch: Nicht alle Katholiken wählten die Zentrumspartei. Im Jahr 1912 betrug der Wähleranteil der Zentrumspartei 31,2%. Laut Zensus aus dem Jahr 1910 waren jedoch 71,2% der Elsässer katholisch. Trägt man der Tatsache Rechnung, dass in den Kantonen Saverne/Zabern und Strasbourg-campagne/Straßburg-Land keine Kandidaten aufgestellt wurden, betrug der Anteil der Katholiken, die tatsächlich die katholische Zentrumspartei wählen kaum mehr als 50%. Interessant ist die hohe Mobilisierung der katholischen Wähler in den landwirtschaftlich geprägten Kantonen mit hohem Anteil an Bürgern protestantischer Konfession, wie etwa in den Kantonen Andolsheim, Woerth und Soultz-sous-Forêts/Sulz(unterm Wald). In den Kantonen mit einem niedrigeren Anteil der Protestanten stimmten die Bürger katholischer Konfession jedoch weniger geschlossen für die Zentrumspartei. Kurz: Je höher der Protestantenanteil in einem Kanton, desto geschlossener wählten die Katholiken die katholische Zentrumspartei. In den industriell geprägten Kantonen wie etwa den Kantonen Munster/Münster und Niederbronn war dieser Zusammenhang zwischen dem Anteil der protestantischen Bürger und der Wahlentscheidung der Katholiken nicht gegeben. In den landwirtschaftlich geprägten Gemeinden von Niederbronn wählten die Bürger katholischer Konfession die Kandidaten der Zentrumspartei, in den industriell geprägten wählten 40 bis 60% der Katholiken eine andere Partei.
Weiter kann festgehalten werden, dass die Elsass-Lothringische Zentrumspartei fast ausschließlich Wählerstimmen aus dem Kreis der katholischen Bürger erhielt; nur ganz wenige Protestanten stimmten für die katholische Zentrumspartei. Die Mobilisierung der katholischen Wähler durch die Partei variierte jedoch stark zwischen den Kantonen. Katholiken aus ländlichen Gebieten stimmten in höherem Maße für die Partei als diejenigen aus den Städten. Auch ist – wie oben erwähnt – in den landwirtschaftlich geprägten Kantonen ein Zusammenhang festzustellen zwischen dem Anteil der Protestanten und der Mobilisierung der katholischen Wählerschaft durch die Zentrumspartei. Die Entscheidung für eine bestimmte Partei war damit in den landwirtschaftlich geprägten Gegenden stark von der jeweiligen Konfession abhängig. In den großen Städten sowie den industrialisierten Gebieten spielte die Konfession bei der Wahlentscheidung eine weitaus geringere Rolle. Entscheidend waren hier andere – namentlich soziologische/sozio-professionelle – Variablen, wenn auch die Konfession als Einflussfaktor immer noch genannt werden muss. Diese Tatsache ist auf den Rückgang der praktizierenden Gläubigen und eine damit einhergehende Säkularisierung der Arbeiterschaft zurückzuführen, was wiederum damit zusammenhängt, dass in den neu entstandenen Arbeiter-Vorstätten erst sehr spät Kirchengemeinden gegründet und neue Kirchen gebaut wurden. Weiter ist als Erklärungsgrund zu nennen, dass in den urbanen und industriell geprägten Gebieten politische und religiöse Traditionen nicht auf die gleiche konstante Weise weitergegeben und erhalten wurden wie in den ländlichen Gebieten. Damit entwickelte sich die katholische Zentrumspartei immer weiter zu einer Partei der ländlichen Wahlkreise, auch wenn sie nach den Sozialdemokraten die zweitstärkste Arbeiterpartei blieb. Ihre Stimmen holte die Partei vornehmlich bei den Wählern die in der Landwirtschaft beschäftigt waren aber auch bei den Beschäftigten des Handwerks, kleiner Handelsbetriebe und Kleinunternehmern in den kleinen und mittelgroßen Städten.
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